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Sonntag, 13. November 2016

Wie häufig sind Esstörungen wirklich?



Ich hätte in diesem Beitrag gerne einen zweiten Teil von Veganer im Weißen Haus? geschrieben, aber dazu sollte es leider wohl doch nicht kommen. Mit Donald Trump als Präsidenten sind viele der Errungenschaften der letzten 50 Jahre wieder weit zurück geworfen worden und zu einer weiteren Errungenschaft, nämlich, dass eine pflanzenbasierte Ernährung, das beste für die Gesundheit der Menschen ist, welche viele der Zivilisationskrankheiten, die uns quälen wieder rückgängig machen kann, wird es vorerst nicht kommen. Ich hätte, weiß Gott lieber erneut Al Gore (vegan) und Bill Clinton  (plant-based) an der Seite von Hillary im Weissen Haus gehabt, und einen Bernie Sanders, der die Finanzen kontrolliert, die ein Zeichen setzen. Aber jetzt setzt das Zeichen ein Rassist, Sexist, Chauvinist, Xenophobist, Rechtspopulist und Homophobist und ich hoffe nicht, dass sich Menschen jetzt daran ein Beispiel nehmen - befürchte es jedoch.

Also gehen wir über zu einem der Lieblingsthemen (!!!) meiner Leser und zwar Essstörungen und Abnehmen.

Ich hatte diese Woche eine Vorlesung im Fach Psychosomatik und es ging um die Differenzierung und Diagnose von Anorexie und Bulimie nach ICD-10 und DSM-V und ich muss feststellen, irgendwie fallen per Definition fast alle Leute, die sich in Facebookgruppen zum Thema Ernährung und auch alle Leute, die YouTube-Kanäle haben, wo sie sich mit Ernährung und Fitness beschäftigen (und auch ich zeitweise) unter die Diagnose Bulimie. In Anbetracht dessen dürfte die Dunkelziffer aller Bulimiker riesig sein.

Die Diagnose geht wie folgt, es gibt drei Kriterien:

- Man hat Heißhungerattaken und verschlingt in einer kurzen Zeit große Mengen an Nahrung und zwar unter Verlust seiner Kontrolle und das mindestens ein Mal die Woche über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten

- Man verwendet gegensteuernde Maßnahmen - und damit ist nicht nur das Übergeben gemeint -sondern auch exzessiver Sport um nicht zuzunehmen.

- Gewichtsphobie – Bulimiker sind nicht untergewichtig sondern haben einen normalen BMI, also irgendwo zwischen 19 und 25 aber sie haben Angst zuzunehmen.

Das alles trifft auf fast alle Leute in der deutschen Starch Solution Gruppe zu, es trifft auf fast alle Leute in der Raus aus der Lustfalle-Gruppe zu und ich nehme an, dass das nicht nur in der HighCarb Szene so ist, sondern auch in der LowCarb-Szene, wie auch bei Rohköstlern. Es wollen so unglaublich viele Menschen abnehmen – und das auch zurecht, denn 52% aller Menschen sind übergewichtig - aber es wollen eben auch die Leute abnehmen, die bereits dünn sind, weil sie nicht so dünn sind, wie die Medien ihnen das als Ideal vorspielen.

Und auch wie andere YouTube ihnen das Vorspielen! Die ganze YouTube-Fitnessszene zehrt davon und man wird unglaublich schnell unglaublich groß und beliebt auf YouTube, wenn man Sport und Essen thematisiert und den Leuten den scheinbar superleichten Weg zu Fitness, Schlankheit und einen Traumkörper zeigt.

Gleichzeitig ist all das aber auch schuld daran. - Niemand, da bin ich mir sicher, hat eine Heißhungerattake, der nicht vorher bereits gehungert, also Diät gehalten hat oder eine irgendwie eingeschränkte Ernährung praktiziert. Der ein oder andere "gesunde" normalgewichtige Mensch, isst vielleicht mal zu viel, aber würde das nie als Heißhungerattaken bezeichnen.

Die Prävalenz der Bulimie ist ca. 1% der Frauen, meist zwischen 18 und 29, es sind zehn mal mehr Frauen betroffen als Männer. Und der Unterschied zwischen Bulimie und Binge Eating ist quasi, dass Binge Eater keine gegensteuernden Maßnahmen anwenden und meistens auch nicht normalgewichtig sind. Binge Eating betreiben 1,6% der Bevölkerung.

Zu Gegensteuernden Maßnahmen zählt dann übrigens auch, dass tragen zu leichter Kleidung um zu frieren und dadurch mehr Kalorien zu verbrennen oder Abführmittel zu verwenden um auf der Waage eine niedrigere Zahl zu sehen.

Häufig gehen damit andere psychische Störungen einher z.B. das "Livin in a food world": Andauerndes Denken an Essen, ausgedehnte Essrituale, "verbotene Speisen", Horten/Steheln, bekochen Dritter. - Letztes klingt verrückt aber so jemand ist mir mal online begegnet. Sie sagte sie selbst habe seit einem Jahr keinen Zucker mehr gegessen, sei aber eine fantastische Bäckerin und würde für ihre Lieben dauernd Kuchen und Plätzchen, natürlich mit Zucker, backen. - Ebenfalls gibt es eine Komorbidität (25-75% der Fälle) mit Depressionen, Ängsten, Zwängen, Posttraumatische Belastungsstörung, Sucht und Persönlichkeitsstörungen.

In Anbetracht dessen braucht man "Essen als Sucht" wahrscheinlich wirklich nicht nach DSM definieren, aber man sollter sich mal Gedanken machen, wie hoch die Dunkelziffer wirklich ist. Ich denke es betrifft weit mehr als 2,6% der Bevölkerung. Wahrscheinlich sind alle übergewichtigen Binge Eater und alle Nicht-Übergewichtigen, die sich auf Essen und ihr Gewicht fixieren Bulimiker, alle zu dünnen Anorektiker. Man sollte mal eine großangelegte Kohortenstudie über Esssverhalten machen und sich dann konkret überlegen woher das kommt, und was man dagegen machen kann.

Menü des Tages am 12. November 2016

Brokkoli und Tomaten


Haferflocken mit Chia, Trauben, Carob, Banane



Eintopf mit Süßkartoffel, Paprika, Lauch, roten Linsen, Chinakohl und Gewürzen (Foto vergessen)
1 Kaki


Riegel vegane Schokolade


Gedünstete Aubergine mit Vollkornreis und roten Linsen


2 Hellers


Jetzt stellt sich natürlich die Frage, was kann man dagegen tun? - Ich denke immer noch, dass Inke Jochims es in ihrem Buch Zucker und Bulimie: Wie richtige Ernährung hilft, aus Bulimie und Binge Eating auszusteigen ziemlich genau auf den Punkt bringt, und das Zucker das größte Problem bezüglich Kontrollverlust darstellt, besonders bei Leuten, die kalorisch unterversorgt sind, sprich Diät halten oder auch hochkalorische Nahrung versuchen zu meiden.

Ich hab 150 Tage oder so keinen Zucker gegessen und das hat ne Menge gebracht. Ich habe jetzt nicht mehr das Gefühl von Kontrollverlust haben aber in den letzten Tagen, auch gestern, festgestellt, dass es schon besser ist sie nicht regelmäßig zu kaufen. Der Unverpacktladen in Köln hat vor einer Woche eröffnet und die haben Schokolade ohne Verpackung. Daher auch der Riegel, den ich gestern gegessen habe, nachdem ich am Vortag auch welche gegessen hatte. - Da habe ich zwar keine Kontrolle verloren, weil ich satt war, aber ich habe mich später bei Gedanken an Schokolade erwischt, was ich während meines Zuckerverzichts nicht hatte.

Ich schreibe Dienstag eine Klausur über Alkohol und Entzug und war erstaunt zu lernen, dass man bei Alkoholismus Abstinenz nicht mehr als das höchste Ziel ansieht, weil das für viele Menschen zu unrealistisch ist und es ihnen Angst macht. Vielleicht ist das bei "Essucht" genau so. Vielleicht soll man nicht an "Für immer" denken sondern eher ein paar Wochen als abgemessenen Zeitraum für Abstinenz festsetzen und dann gezielt eine Ausnahme einbauen oder so...Und damit sind wir dann wieder bei der Raus aus der Lustfalle-Challenge

Alles Liebe,

Silke


1 Kommentar:

  1. Hi Silke,
    ich glaube auch, dass man das Essverhalten unheimlich vieler Menschen als "gestört" im Sinne von "nicht natürlich" bezeichnen kann. Was die Bulimie Kriterien betrifft, bin ich mir aber nicht ganz so sicher wie du, dass sie wirklich auf so viele Menschen zutreffen. Vor allem der erste Punkt - Heißhungerattacken, Essanfälle, Kontrollverluste mindestens einmal die Woche - trifft, so glaube ich, nicht auf die von dir gelisteten Menschengruppen in größerem Ausmaß zu...
    Liebe Grüße
    Sarah

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