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Sonntag, 2. September 2012

Erschütternde Patientenrealität...

Ich hab ne ziemlich anstrengende Woche hinter mir und zwar nicht, weil ein Pflegepraktikum ätzende Tätigkeiten und körperliche Arbeit mit sich bringt, sondern weil ich erstmals das Leid vor Augen hatte, was falsche Ernährung mit sich bringen kann und weil ich erfahren musste wie beratungsresistent die Menschen sind, weil ihnen in keinster Weise bewusst ist, wie gravierend die Auswirkungen der Nahrungsmittel sind, die sie in sich reinstopfen. Scheinbar wissen nur hochgebildete Leute darüber bescheid, aber nicht das Volk, welches sich Tag ein Tag aus Fernsehwerbung über die Gesundheit von Milchschnitte und Maggi Kochstudio Tütensuppen reinzieht. Danke heißt Merci und was weiß ich noch... Tatsächlich kriegt das Schwesternteam auch fast täglich Schokoladen von Patienten geschenkt, die sich für die Pflege bedanken wollen.

Und wenn ich davon spreche, dass scheinbar nur Hochgebildete über die Auswirkungen von Lebensmitteln bescheid wissen, dann schließt das Krankenschwestern garantiert nicht ein. Es gibt da eine Frühstückskasse für die gesammtelt wird, wenn man sich am gemeinsamen Frühstück beteiligen möchte. 10 € pro Monat oder 2,50 € die Woche und man bekommt Weißmehlbrötchen, tierischen Aufschnitt, Margarine und Marmelade voll mit raffiniertem Zucker. Kaffee ist natürlich auch gratis. Selbstredend bringe ich liebe mein eigenes Essen mit.

Allerdings sind die Schwestern und Pfleger-Kollegen alles sehr, sehr nett. Ein ganz tolles Team und alle geben ihr möglichstes um Mitarbeitern und Patienten zu helfen. So habe ich es, glaube ich, noch bei keinem Job erlebt. Mit Entsetzen stelle ich darüber hinaus fest, dass ich scheinbar ein Händlichen für Krankenpflege habe und dass es mir sogar Spaß macht, weil ich auch die Dankbarkeit der Patienten erfahre. Liegt wahrscheinlich einfach daran, dass meine Mutter Krankenschwester ist. Jetzt wird mir auch klar, dass man sich lieber um kranke Menschen kümmert, die dankbar sind für dass was man tut, als um ein Kind, dass alles daran setzt selbstständig zu werden. Das ist weitaus undankbarer. Pech für mich, aber egal…

Schreckensnachricht der Woche war meine Patientin, die Lungekrebs hatte, mit der ich mich ebenfalls treffen musste. Vor einem halben Jahr war ihre Chemotherapie abgeschlossen und bereits da konnte sie schon wieder einen Knoten in der Achselhöle ertasten. Im Laufe des letzten halben Jahres sind noch eine Mitastase im Hirn und eine in der Nebenniere hinzu gekommen. Ich muss jetzt ein neues Dossier über sie schreiben und habe mal aus perdönlichem Interesse gefragt, ob man ihr irgendwas zum Thema Ernährung bei Krebs gesagt hätte. Ich bin natürlich davon ausgegangen, dass die Schulmediziner nichts darüber wissen und somit auch nichts gesagt hatten. Ich hatte zuderm Angst, dass die Schulmedizin meine Patientin umbringt und mir dabei die Hände gebunden sind.

Tatsächlich sagte mir meine Patientin dann: "Doch, sie haben beim Onkologen eine Ernährungsberatung angeboten, aber die habe ich abgelehnt"

Mir ging fast die Kiefernlade runter, aber ich habe versucht mir nichts anmerken zu lassen, was mir meistens schlecht gelingt. Schlussendlich habe ich ihr das Buch "Krebszellen mögen keine Himbeeren" geschenkt, in der Hoffnung, dass sie vielleichr mal reinschaut. In Anbetracht dessen, dass Sie eh das Gefühl hat den Ärzten ausgeliefert zu sein, und dass die nicht richtig wissen was sie tun, dachte ich, sie würde sich vielleicht freuen selbst etwas in die Hand zu kriegen um ihr Schicksal zu beeinflussen. Nein, sie hat sich nicht gefreut. Sie hat es widerwillig eingesteckt und jetzt kann ich nur noch hoffen.

Im Krankenhaus erzählte mir dann ein 19 jähriger Pfleger, der auch Medizin studieren will, aber warten muss, weil sein Abi zu schlecht ist, fast stolz von seinem Bluthochdruck. Den hätte er, weil er übergewichtig sei.

Ich: "Also dann Sport, weniger Fett essen, Kaffee weg und Salz weg, dann kommt das wieder in Ordnung."

Er: "Ne, ich nehm ja ne Tablette"

Mit 19!!!

Dann ein weiterer Patient der einen hohen Blutzucker hat und kurz vorm Diabetes steht. Er beklagt sich beim Blutzuckermessen immer darüber, dass wir ihn "foltern". Ich habe also bei einer Blutzuckermesseung vorgesschlagen er könne ja einfach mal mit seinen Werten experimentieren und statt Weißbrot Vollkornbrot bestellen und statt Zucker im Kaffee Süßstoff nehmen, nur so als Experiment...Als ich ihm nach Mittag Kaffee hingestellt habe hat er war er fast sauer als ich ihm ein wenig kokett auch Süßstoff hingelegt habe. "Ne" sagte er "ich will Zucker"

Geil oder?

Einziger Trost eine an den Rollstuhl gefesselte Patientin die 19 Tabletten nehmen muss und auf eine davon allergisch reagiert. Niemand kümmere sich aber darum rauszufinden, auf welche sie nun genau allergisch ist. Sie hat sich bei mir darüber ausweinte, dass es kein Obst gäbe und daraufhin habe ich ihr getrocknete Feigen geschenkt worüber sie sich unglaublich gefreut hat.

Ich wusste wirklich nicht, was ich von alle dem halten soll. Jahrelang dachte ich die Ärzte sind schuld an dem Dilemma und wolle ein besserer Arzt werden. Wenn aber die Patienten nicht mitmachen und absolut "Non-complient" sind, kann auch der beste Arzt nicht helfen....

Mein Leid habe ich am Samstag auf der Veggie World, wo ich bei Keimling am Stand aushelfe, jedem erzählt, der es hören wollte. Einziger Trost war das, was Christine Volm mir sagte: "Silke, schau dich mal um. Wie voll das hier ist. Voller als erwartet. Es GIBT die Leute, die sich für ihre Gesundheit interessieren und die was ändern wollen."

Da hatte sie Recht. Das sind die, denen es ein wenig schlecht geht, bei denen die ersten Zipperlein kommen und die keinen Bock auf die Abhängigkeit von einem Arzt haben. Erstaunlich finde ich, dass sich noch niemand Gedanken darüber machen kann, wie man die Störung nennen kann trotz drohender schwerer chronischer Krankeheit oder Tod nicht gewillt zu sein, seine Ernährung zu ändern. Aber das "zu gesund essen wollen" als Orthorexie zu bezeichnen.

Einschränkend muss ich sagen, dass Orthorexie eh keine anerkannte Krankheit ist. Die ICD-10 weigert sich harnäckig und ich denke es wird dabei bleiben.

Mein Plan: Ich überlege mir einen schönen lateinischen Begriff, der die "Krankheit" benennt, dass man trotz Androhung gravierender Gesundheitsschäden oder Tod seine Ernährung nicht umstellen will. Auch nicht, wenn es einen davor bewahrt: Masorexie...oder so...

Ich bin zynisch, ich weiß, aber ich bin gerade ziemlich entgeistert und weiß nicht wie ich helfen kann, wenn jemand nicht geholfen werden will. Alles was ich machen kann ist mich auf die Menschen zu konzentrieren, die Hilfe suchen und die anderen links liegen zu lassen. Ganz schön hart. Ach ja, ich kann auch noch visualisieren, dass sie offen für derartige Ratschläge werden...Das wars...

Alles Liebe,

Silke

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6 Kommentare:

  1. Ohgott ich bin echt fassungslos!!! Ich habe das mittlerweile schon total verdrängt dass es echt noch so unglaublich viele Menschen gibt, die den ganzen Zusammenhang zwischen Ernährung und wie man sich fühlt + wie gesund man ist, nicht kennen (wollen)!! Nachdem ich mich fast 1 Jahr echt intensiv mit allem auseinandergesetzt hab und seit Januar fast 100% vegan lebe, viele Dokus gesehen, viel mehr gelesen habe darüber und zumindest die direkten Leute in meinem Umfeld aufgeklärt habe, finde ich es immer fürchterlich dann mit neuen Leuten auszugehen zu einem Zwangsessen oder so und dann doofe Kommentare zu kriegen. Neulich erzählte mir eine neue Bekanntschaft dass eine Freundin von ihm vegan wurde und darauf alle Haare ausgefallen sind und seit sie wieder "normal" isst, ist alles wieder gut.
    Ich hab mich inzwischen damit abgefunden und erzähle nur Menschen, die sich wirklich dafür interessieren, meine Meinung + meinen Ernährungsstil. Auf ein selbstgefälliges Grinsen kann ich verzichten. Wie sagte Freelee noch so schön "Eat now, pay later".

    Liebe Grüße,
    Steffi

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  2. Hi Silke,
    erstmal möchte ich Dir sagen, dass einem gerade als chronisch krankem Menschen unsagbar viele nutzlose Ratschläge zuteil werden. Das macht einen nicht nur müde, sondern frustriert auch. Die Ratschlaggeber übrigens auch, denn wenn die Ratschläge nicht anschlagen, ist man " nicht willens gesund zu werden".
    Insgesamt ist so ein kranker Mensch ja schon eine ziemliche Konfrontation mit Leid und Tod - der MUSS ja was falsch gemacht haben. (sonst könnte es ja auch einen selbst treffen, wann auch immer)
    Insofern würde ich mir sehr wünschen, dass du über diese ganze Sache gut nachgedacht hast, bevor ich als Patient auf dich treffe.
    Und jetzt was zum Lachen: Mein Mann ging vor 3 Monaten beim Endo zur Blutuntersuchung, also eher schon wichtig, interessant oder so.
    Schreckliches Insulinflashing, sofort abgestellt.
    Nach dieser Zeit Bitte um erneute Blutabnahme.
    Die Sprechstundendame fragte: Termin für eine Ernährungsberatung? (nach 3 Monaten...!)
    Aber zitieren wir wenigstens den verständlichen Teil des vorherigen Originalvielleichtdiagnosetexts:
    Mehr körperliche Aktivität (arbeitet im körperlich anspruchsvollen Bereich, jeden Tag, und wenn nicht da, dann zuhause)
    Mehr Folsäure gegen Depris (echt jetzt)
    konsequentes Meiden schnell resorbierbarer Kohlenhydrate.
    Höflich formuliert: das ist keineswegs immer die Schuld des Patienten.
    Sinnlose Textbausteine, die auf einen herunterprasseln.
    Meine Schwester hat jetzt ne Ernährungsberaterin angeheuert, die sich mit Krebspatienten auskennt - weil sie eben ein Langzeitkrebsmedikament nimmt.
    In der Hoffnung, dass sinnloses: mehr Vollkorn, Ballaststoffe etc eben nicht mehr vorkommen.
    Im Grundsatz stimme ich dir zu: Koffein, Brötchen, Belag- alles nicht gut. Aber hast du schon mal versucht, dich als Patient im Krankenhaus ohne Hilfe von außen gesund zu ernähren? Die Frage nach Geschmacksverstärkern, Gluten (als Zöli) etc wird weder ausreichend beantwortet noch der Ausschluss im Essen befriedigt.

    Ganz liebe, aber frustrierte Grüße. Katja

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  3. Zwar nicht lateinisch, aber bei uns heißt das: Erfahrungsresistenz ;)

    Und ich bin umgeben von Menschen die zwar die direkten Auswirkungen ihres Lebenswandels beklagen, aber nicht bereit sind irgendetwas zu ändern.
    Aber ich bin nicht verantwortlich für diese Menschen. Und wenn die Zeit reif ist, werden sie die richtigen Fragen stellen und auch die Antworten hören wollen.
    Ungefragt zu dozieren bringt nichts...

    Allerdings kenne ich einige Menschen die an Orthorexie leiden. Sich im Leben so zu verkrampfen und auch den Kindern nur von der bösen gefährlichen (Ernährungs-)Welt zu berichten, bringt wahrscheinlich mehr gesundheitsschädliche Energie mit sich als ein Industrieweißmehlbrötchen. Es macht einen Unterschied, ob unser Handeln nur Freude und Lust gelenkt wird oder durch Angst.
    Und bei den Orthorexiern ist es eben die Angst die alles steuert.

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  4. Liebe Silke,

    die Realität der Medizin und der Krankenhäuser ist wirklich erschutternd. Gerade wenn man sich etwas mit Ernährung beschäftigt hat und die Wirkung von frischem Obst und Gemüse kennt. Was also tun? Eine große Verantwortung hat hier m.E. nach wie vor die Ärzteschaft. Auf diese wird zunächst einmal gehört. Und die Ärzte halten sich beim Thema Ernährung in der Regel vornehm zurück. Man verweist auf Ernährungsberater. Ist auch verständlich, denn das Thema Ernährung steht kaum auf dem medizinischen Lehrplan so weit ich weiss. Wenn nicht einmal der Mediziner die Zusammenhänge versteht, wie soll dann der Patient etwas verstehen geschweige denn ändern? Diese unklarheit und fehlende Aufklärung bzw. Ignoranz spiegelt sich in den Essensplänen der Krankenhäuser wieder. Zwar gibt es in der Regel vegetarische oder Diatspeisen, jedoch handelt es sich in der Regel mehr oder weniger um Traditionelle Kochkost. Wie soll man da gesund werden?
    Zudem muss ich leider auch die Qualität der "professionellen" Ernährungsberater in Frage stellen. Die Erklärungen sind oft haarsträubend und mehr verwirrend als hilfreich. Ich denke da an die wirren Tips professioneller Berater für Diabetiker wo es doch vielversprechende Ansätze gibt (z.B. Barnard oder Cousens).

    Unterm Strich muss ich leider sagen, dass die Medizin vor allem bei den Wohlstandskrankheiten Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf u-ä. große Probleme hat und oft mehr kaputt macht als zu helfen. Die Ärzte tun ihr bestes, doktern an den Symptomen herum, fassen aber die Ursachen kaum an. Diese liegen oft tief in den Gewohnheiten der Lebensführung und v.A. der Ernährung der Patienten und werden nur ungern geändert. Ohne die Ändrung dieser Gewohnheiten jedoch wird eine echte Heilung nicht erfolgen, höchstens die verbesserung einiger Symptome.

    Die Medizin muss also diese Zusammenhänge verstehen lernen, sonst kann sie keine Hilfe anbieten. Umsetzen muss diese Hilfe allerdings der Patient und das ist natürlich schwer genug (schwer ist es Gewohnheiten zu ändern).

    Viele Grüße,
    Christoph

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  5. Ich kann deine Krankenhaus Erfahrungen gut verstehen. Habe vor fast einem JAhr ein Praktikum in einem großen Krankenhaus auf der chirugischen Station gemacht. Das Frühstück sah ähnlich wie bei dir aus und es gab ständig Kuchen. Die Ärtze haben aber meistens das Frühstück stehen lassen und sich lieber während der Morgenbesprechung Kekse, Gummibärchen und Kaffe reingezogen. Und wenn Zeit war noch schnell ne Zigarette. Ein lakto-vegetarischer Patient wurde hinter seinem Rücken immer "Körnerfresser" genannt...- Ich konnte ift einfach nur den Kopf schütteln!

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  6. Ja im Krankenhaus gibt essen, davon kann ich bei meiner Mutter nur träumen. Schmorbraten und co.
    Aber was mich überrascht hat, dass man auf Nachfrage (!) sogar Rohkost bekommen konnte!

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