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Mittwoch, 25. September 2013

Alles nur die Suchtfalle?...



4 Wochen des Pflegepraktikums sind rum und 14 Schichten habe ich noch vor mir. Ich fange an mental die Tage abzuhaken und sehne mich danach, dass es vorbei ist. - Und dennoch habe ich auch gestern wieder krasseste Erfahrungen gemacht.

Die erste Geschichte ereignete sich, als ich in einem der Zimmer ein Bett abziehen musste und am Fernsehen eine Berichterstattung über die Rücktrittswelle bei den Grünen gezeigt wurde. Das kommentierend erzählte ich einem Patienten, der auf diesem Zimmer liegt, einem regelrechten "Stammgast" von uns, dass ich schwer für eine Abschaffung der Massentierhaltung bin. Die Antwort des Patienten darauf war:

"Und was sollen wir dann essen?"


Darauf erörterte ich, was ich gestern hier erörtert habe. Dass eine Abschafftung der Massentierhaltung zu weniger Zivilisationskrankheiten führen würde, dass dadurch die Volkswirtschaft angekurbelt würde und daher schwarz-grüne eine hervorragende Lösung wäre, die Probleme in diesem Land zu beseitigen. Auch das größte Problem: Das völlig kranke Gesundheitssystem. Je mehr Leute krank sind, desto schwerer ist es dieses umzugestalten. - Und da fast alle Patienten Zivilisationskrankheiten haben, wäre die Abschaffung der Massentierhaltung ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Es gab aber auch Erfolge!  Ein Patient kam auf mich zu und sagte. "Sie hatten Recht!Ich hab jetzt darauf bestanden morgens Schwarzbrot zu kriegen und keine Brötchen mehr und seitdem ist mein Blutzuckerspiegel viel niedriger" - Das ging allein durch das Schwarzbrot so weit, dass die Medikamente für diesen Patienten zu stark geworden sind, worauf das Krankenhaus damit reagierte indem es ihm Traubensaft oder Dextro gibt. Ich habe ihm gesagt er solle auch darauf bestehen, dass seine Medikation reduziert wird, nicht sein Blutzucker durch Gabe von Traubenzucker der Medikation angepasst. So krank geht es da nämlich zu. Und dieser Patient hat einzig und allein sein Brot ausgetauscht. Was mit noch mehr Veränderungen zu bewerstelligen ist, weiß er noch gar nicht. Mit ihm habe ich nie über Barnard gesprochen-
Dass im Krankenhaus überhaupt Weizenbrot aufgetischt wird, statt Röggelchen ist auch so eine Sache die mich wahnsinnig macht. Weizen hat den höchsten glykämischen Index und sogar bei Vollkornweizen ist der noch tierisch hoch. Der Patient beklagte sich bei mir zudem darüber, dass die Schwarzbrotscheiben viel zu dünn seien und das Graubrot, welches er dazu bekommen habe, sei dick und zum Großteil aus Weißmehl. Das alles ist wirklich zum Mäuse melken...

Der größte Klops kam dann gestern Nachmittag im wahrsten Sinn des Wortes. Der Patient wurde schon bei der Übergabe beim Schichtwechsel angekündigt, nämlich ein Koloss von über 200 kg. Das ist dann der Dritte den wir von dieser Sorte auf Station haben.

So schwer übergewichtige Menschen machen uns riesige Sorgen und zwar nicht nur wegen ihres Gesundheitszustandes. Das Problem ist das Krankenhausequipment. Die Betten tragen, ebenso wie die OP-Tische, nämlich nur bis 250 kg. Kürzlich erst ist uns die Hydraulik eines elekrischen Bettes durch eine so schwer übergewichtige Person kaputt gegangen.

Fettsucht macht uns aber auch die Pflege zur Katastrophe besonders, weil wir auf diabetische Füße spezialisiert sind. Wenn ein 200 kg Mensch an seinen Füßen operiert wird, darf er sie lange Zeit nicht belasten, was zur Folge hat, dass er nicht ins Bad kann. Nur leider schafft es eine 60 kg-Person wie ich auch nicht eine 200 kg-Person auf eine Bettpfanne zu wuchten oder auch nur zu drehen. Daher wurde überlegt dem Patienten eine Katheter zu legen, aber auch das ist so schwer, dass es nicht eine Person alleine machen kann. Da muss einer den Katheter legen und der andere muss die Fettschürze hoch halten, damit überhaupt gearbeitet werden kann. Männer von einem solchen Kaliber können auch keine Urinflasche benutzen, weil sie mit den Händen nicht mehr bis zu ihren Genitalien kommen. Ist das nicht furchtbar?

Naja, der Patient kam und ich durfte dem Arzt bei der Wundversorgung und Aufnahme assistieren. Stellte sich raus, dass beide Füße so entzündet waren, dass es zu einer Blutvergiftung gekommen war. Außerdem, so der Arzt, steht der Patient kurz vor einem Schlaganfall, wenn er nicht schläunigst anfängt Blutverdünner zu nehmen. ASS sei aber viel zu schwach. Die Schwester stöhnte gestern Abend auf: "Soooo viele Medikamente nimmt der?!"

Der Mann hat alles, was man sich so an-essen kann. Er ist regelrecht kaputt gegessen. Seine Fußknochen sind komplett zertrümmert, weil die Blutgefäße im Fuß durch Zucker geschädigt und durch Arteriosklerose verstopft sind und die Knochen nicht mehr durchblutet wurden. Augrund seines Körpergewichts sind die Knochen einfach zusammengebrochen.

Und dann gestern Abend beim Abendessen klingelte dieser Patient. Ich ging hin und der sagte zu mir: "Ich denke, für zwei Scheiben Brot ist das ein bisschen wenig Wurst" - Ich war schwer am überlegen was ich sagen sollte, da der Arzt jedenfalls keine Anstalten gemacht hat, dem Patienten irgendwas zum Thema Ernährung zu sagen. Der Arzt war sogar so vorsichtig ihn "stämmig" zu nennen und nicht fettsüchtig, was per Definition zutrifft.

Meine Antwort war: "Ich denke Wurst ist ungesund.;-) Legen Sie statt dessen die Gurken drauf." Patient: "Gurken mag ich aber nicht" - Daraufhin hat er geschmollt...

Da ich am Wochendende Barnards Breaking the Food Seduction: The Hidden Reasons Behind Food Cravings---And 7 Steps to End Them Naturally nochmal gelesen habe, ist die einzige Erklärung, die ich für all das habe, was ich im Krankenhaus beobachte folgende: Sucht

Essenssucht ist nicht so stark wie Sucht nach Zigaretten, Drogen und Alkohol, aber sie ist klar vorhanden wie jeder weiß der seine Erfahrung mit Kaffee An- und Entwöhnung hat oder wer sich beim Vegan-werden schon mal Käse abgewöhnt hat. Ich denke zudem: Die Sucht läßt Ärzte und Diabetespersonal nicht so weit gehen zu sagen, dass komplett auf tierische Produkte, Weißmehl und Zucker verzichtet werden soll.

Folgende Überlegung: Es wäre eine Raucherstation, aber alle Ärzte, Schwestern und Beträuungspersonal rauchen auch, haben aber noch keine Krankheit davon bekommen oder keine die so schlimm ist, dass man ins Krankenhaus muss. Es gibt aber Medikamente, die die Schäden des Rauchens eindämmen und den Patienten weiter rauchen lassen würden. Ich finde in diesem Szenario erklärt sich ganz klar, dass nur deshalb nicht durchgegriffen wird, weil die Heiler selber betroffen sind. Klar, fokussiert man sich dann auf Medikamente!

Plan für die nächsten Wochen für dieses Blog ist also: Ich fasse nochmal zusammen, mit allem drum und dran, warum Schokolade, Zucker, Käse und Fleisch süchtig machen, über welchen Mechanismus, welche Transmitter und Hirngebiete davon betroffen sind und wie man da wieder raus kommt!

Menu des Tages am 24. September

Rohkost Buchweizenpfannkuchen mit Reissirup (heute im Newsletter)


50 g grüne Linsen
3 Grüntee

1 roher Brownie
1 Banane
1 weiße Praline nach Attila
1 Pflaume
glutenfreies Sojamilchbrot mit Zucchini-Paranuss-Hummus

Salat aus Rucola, Zwiebel, Kartoffel, Möhre, Salz, Senf, Pfeffer, 1 TL Olivenöl, Majoran


210 g Sushi
1 Banane
riesiger Krankenhaussalat

In dem Zimmer mit unserem neuen Koloss, liegt ein weiterer Koloss, ebenfalls ein 200 kg Mensch, der ebenfalls "Gemüsetage" verweigert hat. Barnard schreibt in Breaking the Food Seduction: The Hidden Reasons Behind Food Cravings---And 7 Steps to End Them Naturally, dass eine Studie durchgeführt wurde in welcher den Teilnehmern 1000 $ angeboten wurde, wenn sie 1 Woche auf Fleisch verzichten. Nur jeder Vierte hat sich darauf eingelassen. Auch das wieder ein demonstratives Zeichen, dass wir es hier wirklich mit Sucht zu tun haben. Dass die Sucht jedoch viel milder ist, hat auch den Nachteil, dass sie nicht wirklich als Sucht wahrgenommen wird.

Seit Jahren rede ich mit meinem Vater über Kaffee. Kaffee, per se nichts wirklich schlechtes, macht aber süchtig, wenn man ihn jeden Tag trink. Sehr schnell. Nach 2-3 Tagen hintereinander, will man sofort jeden Tag welchen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung und aus Schilderungen meiner Leser. Mein Vater ist fest davon überzeugt, dass er Kaffee auch bleiben lassen könnte. Komischerweise macht er es nicht, auch nicht angesichts von Schlafstörungen. Ich hab ihm also auch erzählt was Barnard schreibt, dass die Halbwertzeit von Koffein 6 Stunden sei und dass die Hälfte des Koffeins einer Tasse Kaffee am Nachmittag noch beim Einschlafen im Blut ist. Jetzt hat mein Vater angefangen nur morgens früh Kaffee zu trinken und nimmt sich zur Arbeit koffeinfreien mit. Jetzt schläft er besser.

Ein weiterer Patient gestern, der trotz Blutdrucksenker immernoch einen zu hohen Blutdruck hat, erzählte mir, nachdem ich ihm riet mal zu versuchen Salz und Kaffee zu reduzieren, dass er koffeinfreien Kaffee nicht mag. - Auch da brauchte es wieder medizinische Argumentation: Geschmacksknospen leben, laut medizinischer Fakultät Köln und Histokurs, nur 12 Tage. Dann werden sie erneuert. Rein geschmacklich muss man also nur 12 Tage lang durchhalten um sich umzugewöhnen. Das hat ihn wieder offen dafür gemacht Koffein wegzulassen.

Aber worauf wollte ich hinaus: Ich hab den Salat der Gemüsetage zum Abendessen essen dürfen. Eine wunderbare Mischung diverser Rohkost mit einem fettarmen, veganen Dressing mit nur 13 Kalorien und es schmeckte richtig gut. Die Patienten dürfen dazu auch immer noch Brot essen. - Aber wer nicht will...da kann man dann auch nichts machen. Außer vielleicht sich cleverere Argumentationswege zu überlegen, was ich mir gerade vornehme...

Alles Liebe,

Silke

1 Kommentar:

  1. Erst mal ein großes Pattpatt von mir - Mischung aus Schulterklopfen und Antifrust- tröst.
    Mir fällt da selber auch nur noch wenig ein.
    Ich habe eine Person in der Familie, die jetzt mit Diabetes Typ 2 spritzen muss, aber selber nicht kann. Sowas nenne ich mal die totale Abhängigkeit!
    Ich wohne da nicht grad um die Ecke, und mir graust schon vor dem Winter mit unwägbarer Versorgung.
    So ungefähr die letzten 25 Jahre habe ich mir den Mund fusselig geredet, gar nicht mal im "werde Vegan" Bereich, sondern nur in den simpelsten Dingen. Meine Großmutter hatte, obwohl immer schlank, ganz schlimme Altersdiabetes, mit offenem Bein etc. Örrghs. Das prägt.
    Wenn ich da jemand sehe, der wirklich voll ins offene Messer läuft, jede Fehlinormation zu seinen Gunsten wendet - bin ich froh, nicht ganz so nah dran zu sein, denn dann würd ich auch bekochen usw. Manchmal ist das Thema einfach abgearbeitet. Ich finde es zwar toll, daß Du Dich hier noch mal mit der Information darüber beschäftigst, aber rauch Dich nicht auf. Das kann wirklich sehr frustrierend sein, denn die Leute, die die Info schon haben oder wollen, lesen Deinen Blog. Die, die die Info eher nicht wollen, sind oft nicht zu überzeugen, egal wie.
    Irgendwann gehen einem halt die Argumente aus: Du kannst Dich da total satt essen! Ich mag es aber nicht. Hmm, kann ich bei manchen Gerichten wie Kohlsuppe auch total verstehen...
    Also: Liebe Grüße, Katja
    (selber ja auch nicht mal mehr vegetarisch, aber momentan happy damit - will hier keinen falschen Eindruck erwecken ;-)

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